Von Stefanie Widmann, Allgemeine Zeitung Alzey vom 16.08.2018
FRAMERSHEIM – Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben – schmerzfrei, friedlich im Kreis der Familie oder Freunde. Aber längst nicht allen ist es vergönnt. Denn die Betreuung schwerkranker Menschen erfordert hohe Kompetenz und moderne Medizintechnik, gerade, wenn die letzte Lebensphase mit Schmerzen oder bösartigen Wunden einhergeht. Alleine mit dem Hausarzt ist das kaum zu bewältigen. Hier setzt die Palliativmedizin an. Die Bezeichnung kommt vom lateinischen palliare – „mit einem Mantel umhüllen“, schützen. „Palliativmediziner können und dürfen mehr, als der normale Hausarzt“, erläutert der Framersheimer Allgemeinmediziner Dr. Friedel Rohr vom Verein zur Förderung der ambulanten Palliativversorgung Rheinhessen/Pfalz. Dazu gehört etwa eine intensive Schmerztherapie auch mit Schmerzpumpen, die rund um die Uhr Schmerzfreiheit garantieren. Oder eine Aszitespunktion – eine Flüssigkeitsentnahme im Bauch – für die der Patient normalerweise in die Klinik muss.
Palliativmedizin gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten. „Ich habe meine Praxis seit 30 Jahren, als ich studiert habe, gab es den Begriff noch gar nicht“, sagt Rohr. In seiner Ausbildung habe er erlebt, wie Totsterbenskranke in eine Abstellkammer oder die Toilette geschoben wurden und sich kein Arzt und keine Schwester mehr gekümmert haben. „Das hat mir, gelinde gesagt, missfallen, aber man kannte das nicht anders“, erinnert er sich. Die Britin Cicely Saunders hat in der 70er Jahren in England für ein Umdenken gesorgt, das schließlich auch in Deutschland Nachahmer fand. 2007 verankerte Deutschland im Sozialgesetzbuch, dass jeder Deutsche Anspruch auf eine spezialisierte ambulante palliative Versorgung hat. Zuvor gab es nur vereinzelt in Krankenhäusern spezialisierte Stationen und erste Hospize.
Nach und nach wuchs die Erkenntnis, dass eine spezielle Ausbildung zur Versorgung der Todkranken dazugehört und 2008 wurden entsprechende Fortbildungen angeboten. Auch Rohr absolvierte eine mehrwöchige Zusatzausbildung mit Theorie und Praxis sowie einer qualifizierten Abschlussprüfung. Daneben entstand die Ausbildung von Palliative-care-Krankenschwestern. Auf den ersten Vertrag mit den Krankenkassen mussten die Palliativmediziner rund um Alzey und Umgebung, die sich 2009 zu einem Verein zusammengeschlossen und später einen Qualitätszirkel gegründet hatten, allerdings bis Mitte 2011 warten. „Die ersten anderthalb Jahre haben wir kostenlos gearbeitet“, stellt Rohr klar.
Die Palliativmedizin ersetzt die allgemeine palliative Versorgung durch den Hausarzt nicht, sie ergänzt sie. „Wir sind auch in anderer Beziehung auf die Hausärzte angewiesen, denn die Patienten müssen durch sie – oder ein Krankenhaus – bei uns eingeschrieben werden, damit wir sie behandeln dürfen“, erläutert Rohr, der selbst von Hause aus Allgemeinmediziner ist.
Die Mitglieder des Qualitätszirkels Palliativmedizin behandeln in der Regel im Team – ein Arzt gemeinsam mit einer Krankenschwester. „Wir haben die Möglichkeit einer wesentlich intensiveren Betreuung der Patienten und müssen nicht so sehr auf die Vorschriften der gesetzlichen Krankenkassen achten, sondern können manches ermöglichen, das den schwerkranken Menschen das Leben erleichtert.“ Dazu gehören Lymphdrainage, Musiktherapie, Ayurveda, Homöopathie und Phytotherapie (Behandlung mit Heilpflanzen). Zudem dürfen die Spezialisten sich mehr Zeit nehmen. Ein Erstbesuch dauert wenigstens eine Stunde. Von der Seelsorge bis zur Schmerztherapie können der Betroffene und seine Familie alles ansprechen. „Wir haben auch schon einen Pfarrer vermittelt, haben aber auch eine eigene Seelsorge“, sagt Rohr. Und natürlich stehen die Palliativ-Teams nicht nur im häuslichen Bereich zu Verfügung, sondern auch für Sterbende in einem Hospiz, wie es sich der Framersheimer Arzt für den Kreis wünscht.
Im Schnitt begleitet das Team Sterbende 28 Tage lang. Manche allerdings sterben bereits am Tag der Einschreibung, andere leben auch schon mal noch ein Jahr. Nicht alles stecken Rohr und seine Kollegen so einfach weg. Etwa wenn eine junge Mutter von zwei kleinen Kindern stirbt. Oder eine junge Frau ohne jegliche Verwandtschaft den letzten Weg gehen muss.
Zu merken, dass man helfen kann, ist sehr befriedigend
Sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang, ist immer jemand ansprechbar, stehen Palliativärzte und -Care-Schwestern im Notfall bereit, um schwerkranken Menschen am Ende ihres Lebens Erleichterung zu verschaffen und sie in vertrauter Umgebung möglichst sanft sterben zu lassen. 20 Ärzte und 15 Pflegestationen im Kreis Alzey-Worms sorgen gemeinsam dafür. „Natürlich ist das eine Mehrbelastung, es wird aber auch zusätzlich vergütet, zum Glück sind wir hier noch nicht budgetiert“, sagt Rohr.
Aber die Arbeit bringe auch ein Mehr an Erfüllung in seiner ärztlichen Tätigkeit. „Die positiven Rückmeldungen der Betroffenen und der Angehörigen sind für mich ein hoher Gewinn. Ich merke, dass ich helfen kann und das ist sehr befriedigend.“
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